Neurodermitis und die Zusammenhänge zwischen Haut, Psyche und Hochsensibilität

Wenn ein Baby entsteht, entwickeln sich Haut und Gehirn aus dem selben Keimblatt. Zwischen beiden besteht ein sehr enger Zusammenhang, welcher sich im Alltäglichen immer wieder erkennen lässt: Sind wir aufgeregt, „schießt uns die Röte ins Gesicht“. Wer sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt, hat umgangssprachlich ein „dickes Fell“.

Doch es gibt noch weitere Zusammenhänge: Auffallend viele Eltern, deren Baby oder Kinder von Neurodermitis betroffen sind, berichten davon, dass ihre Kinder sehr sensibel sind, viel schreien, besonders viel Zuwendung brauchen oder „große Antennen“ haben. Möglicherweise liegt bei diesen Kindern eine neurologische Besonderheit vor – sie zeigen die Merkmale einer Hochsensibilität. Gibt es also möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Hochsensibilität und Neurodermitis?

Hochsensibilität und ihr Einfluss auf die Verarbeitungsempfindlichkeit

Hochsensible Menschen kennzeichnet häufig auch eine erhöhte Verarbeitungsempfindlichkeit. D. h., dass sie Reize aus der Umwelt verstärkt wahrnehmen. Die Ursache dafür liegt in der Amygdala (Mandelkern), der Schaltstelle unseres Gehirns, die für emotionale Reaktionen, insbesondere Angst, Kampf und Flucht verantwortlich ist. Bei Hochsensiblen wird die Amygdala oft schneller aktiviert und verarbeitet die Sinnesreize tiefer und intensiver. Schnellere Erschöpfung und Stressreaktionen sind die Folge. Diese Empfinden hat nichts mit „Mimosentum“ oder einer falschen Erziehung zu tun. Vielmehr ist eine Veranlagung – die Wahrnehmung und das Erleben dieser Menschen ist anders und intensiver.

Folgende Merkmale können eine Hochsensibilität und eine erhöhte Empfindlichkeit der Amygdala kennzeichnen:

  • Licht-, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit
  • hohe Schmerzempfindlichkeit (z. B. bei kratzenden Stoffen, enger Kleidung)
  • starke Reaktion auf Medikamente, Koffein oder Alkohol 
  • intensives, tiefgehendes Nachdenken und Hinterfragen (auch Spiritualität)
  • hohe Empathiefähigkeit und Sozialkompetenz
  • starke Naturverbundenheit
  • ausgeprägter Sinn für Ästhetik


Wie du siehst, sind die Merkmale vielfältig und durchaus nicht nur belastend. Wer mit seiner Hochsensibilität möglichst von klein auf lernt, umzugehen, kann ein wunderschönes, intensives und sinnerfülltes Leben führen. Auch die unmittelbare Umgebung dieses Menschen wird seine besonderen Vorzüge zu schätzen lernen.
 

Wie Neurodermitis, Hochsensibilität und erhöhte Verarbeitungsempfindlichkeit zusammenhängen können

Man muss kein Wissenschaftler sein, um ableiten zu können, welche Rolle die erhöhte Verarbeitungsempfindlichkeit bei der Entstehung von Neurodermitis spielen könnte.

Stelle dir bitte folgendes Beispiel vor:

Ein hochsensibles Baby mit erhöhter Verarbeitungsempfindlichkeit wird geboren. Es ist das erste Kind der Eltern. Sie sind unerfahren, unsicher, selbst hochsensibel veranlagt und wissen nichts über dieses Merkmal und den Umgang damit.

Das Baby fängt nach einigen Tagen an, häufig, lang und laut zu schreien. Es will ganztägig am liebsten nur getragen werden. Ein Ablegen in der Wiege oder dem Babybettchen scheint unmöglich zu sein. Es braucht sehr lange, um sich zu beruhigen. Das Einschlafen ist ein stundenlanger Akt. Die Eltern sind verunsichert und gestresst und bereits nach kurzer Zeit ausgebrannt und verzweifelt. Das Baby fordert sie rund um die Uhr. Ihre gemeinsame Babyzeit hatten sie sich anders vorgestellt. Wieso ist es so anders als die anderen? Was stimmt nicht?

Babys nehmen alle Signale ihrer Bezugspersonen auf und spiegeln sie. Ob man will oder nicht, man kann nichts vor ihnen verbergen. Der Stress und die Verzweiflung überträgt sich somit auf das Baby und verstärkt die Problematik zusätzlich. Ein Teufelskreis entsteht.

Durch den anhaltenden Stress kommt das Baby aus dem seelischen und körperlichen Gleichgewicht. Denn du weißt ja bereits: Hirn und Haut sind aus dem selben Keimblatt entstanden und haben eine tiefe Verbindung zueinander. Erste Folgen zeigen sich alsbald als aufkommende trockene Stellen und Ekzeme auf Babys Haut. Binnen weniger Wochen kann nun eine Neurodermitis entstehen, wenn die Stressreaktionen des Babys nicht abklingen.

Die wissenschaftliche Betrachtung der Hochsensibilität und erhöhten Verarbeitungsempfindlichkeit bei der Therapie von Neurodermitis 

Die Hochsensibilität ist ein relativ junge Theorie. Erste nennenswerte Erkenntnisse und Veröffentlichungen dazu gab es in den 70er Jahren.

Der Kinder- und Jugendarzt Dr. Peter Liffler behandelte in seiner Fachklinik auf Fehmarn über viele Jahre an Neurodermitis erkrankte Kinder mit ihren Eltern und wurde dabei auf die Zusammenhänge zwischen gesteigerter Verarbeitungsempfindlichkeit und Neurodermitis aufmerksam.

Während in der Normalbevölkerung zwischen 10 und 15% der Menschen als hochsensibel bezeichnet werden können, waren es unter den erkrankten Kindern und ihren Eltern über 80%. 2018 publizierte er seine Erkenntnisse in einer medizinischen Fachzeitschrift und verfasste zwei Bücher dazu.

Kern dieser These: Klärt man die Eltern über ihre eigene und die Hochsensibilität ihres Kindes auf, bringt man sie dazu, ihr Verhalten zu reflektieren und unterstützt man sie in neuen, gesunden Mustern im Umgang mit ihren Kindern, dann bessert sich die Neurodermitis innerhalb kürzester Zeit spürbar.

Die Hochsensibilität findet bis heute in Bildung, Schule, Medizin und Gesellschaft nicht den Anklang, den sie haben sollte. Kinderärzte, Dermatologen und Allergologen behandeln bei neurodermitischen Kindern zwar die Haut, aber nicht die Seele. Ein großer therapeutischer Hebel bleibt ungenutzt.

Wie Eltern ihren hochsensiblen Babys helfen können

Hochsensible Babys und Kinder brauchen Struktur, um ihre ausgeprägten Wahrnehmungen immer wieder verarbeiten und kompensieren zu können. Eltern können dafür die Rahmenbedingungen schaffen:

  • eine reizarme Umgebung –> weniger Spielzeug, ruhige Farben, eine aufgeräumte Wohnung ohne dauer-laufenden Fernseher
  • einen klar strukturierten Alltag mit ausreichend Ruhephasen –> Schule/Kita als Hauptprogramm, weitere Förderung oder Aktivitäten nur, wenn es das Kind nicht überreizt 
  • klar kommunizierende und konsequent(!) handelnde Eltern –> was angekündigt wurde, wird auch umgesetzt
  • Verständnis der Eltern für besondere Momente oder Reaktionen ihres hochsensiblen Kindes –> Schreiphasen, Trotzanfälle oder besondere Ticks aushalten und auf diese deeskalierend reagieren

Und zu guter Letzt, als wichtigsten Hebel, benötigt das hochsensible Baby und Kind (und auch alle anderen) Eltern, die auf sich selbst achten und an ihrer eigenen Stressreaktion arbeiten. Denn nur, wenn es Mama oder Papa gut geht, kann es auch ihm gut gehen.

Fazit

Neurodermitiker sind überproportional häufig hochsensibel. Dies ist meist verbunden mit einer verstärkten Stressreaktion durch eine erhöhte Verarbeitungsempfindlichkeit der Amygdala. Wird hochsensiblen Babys und Kindern keine klare und reizarme Struktur im Alltag gegeben, kann dies die Entstehung von Neurodermitis maßgeblich beeinflussen. Eltern können mit ihrem Verhalten jedoch viel dazu beitragen, die Weichen wieder richtig zu stellen und Stress-Symptome zu reduzieren.


Wie das genau funktioniert, kannst du in einer persönlichen Beratung bei mir lernen!